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30. blicke - Die Preisträger*innen 2022

veröffentlicht am

Wir freuen uns die sechs Gewinnerfilme der 30. blicke-Ausgabe bekannt zu geben und gratulieren den Preisträger*innen!

Der ein-blicke-Preis
für Filme mit biografischem und/oder thematischem Bezug zum Ruhrgebiet, dotiert mit 2.000 €, geht an

NICHTS NEUES von LENNART HÜPER, 2021, 81:00 Min.

Begründung:

Erbarmungslos dreht sich die Waschmaschinentrommel. Ein Mann faltet Wäsche, aus dem Radio klingt die Geschichte Sisyphus’, dessen Arbeit niemals endet. Dies trifft auch auf die auf Malta zwangsvertäute Crew der Lifeline zu, deren Leben in Warteschleife Lennart Hüper in NICHTS NEUES einfängt: Ernüchternder Alltag zwischen aktivistischer Praxis, administrativer Gleichgültigkeit und dem andauernden Sterben im Mittelmeer. Wo Menschen gerettet werden könnten, werden Putzpläne erstellt, das Deck geschrubbt, Gitarre gespielt. Kapitän Claus-Peter Reisch reibt sich indes auf der Suche nach einem Vokabular für das scheinbar Selbstverständliche auf. Resilienz im Bewirtschaften einer bleiernen Ausnahmesituation. Die Crew bleibt einsatzbereit, das Schiff im Hafen. Hüper vermittelt das ermüdende, und dabei wesentliche Klein-Klein politischer Arbeit. Die Montage verwebt die Absurdität des Wartens und die Hoffnung, humanitäre Arbeit wieder aufnehmen zu können, mit der Beständigkeit einer sturen Verhinderungsbürokratie. Die Kamera verfolgt, wie sich sorgenloser Kreuzfahreralltag vor den Blick auf politische Realitäten schiebt. Währenddessen bleibt die Nachrichtenlage unverändert: Menschen ertrinken vor Europa, Seenotrettung wird von Behörden behindert. NICHTS NEUES geht subtil den Strukturen der politischen Verwicklung nach, involviert seine Zuschauer:innen in das Geflecht von erzwungener und gewählter Untätigkeit.

Der aus-blicke-Preis
für Filme ohne biografischen oder inhaltlichen Bezug zum Ruhrgebiet mit einer maximalen Länge von 45 Min., dotiert mit 1.000 €, geht an

LOWER AMBITIONS von IREM SCHWARZ, 2021, 7:26 Min.

Begründung:

„Sozial ist, was Arbeit schafft“ – ausgehend von diesem Diktum zeichnet Irem Schwarz in LOWER AMBITIONS die jüngere Geschichte der menschenverachtende Rede vom „asozialen“ und „arbeitsscheuen“ Arbeitslosen nach. Zwei Tatorte stehen im Zentrum ihres Interesses: Die Daily-Talk-Shows des Privatfernsehens, und die zeitgleich stattfindenden Bundestagsdebatten. Darunter mischen sich historische Aufnahmen deutscher Bürgerinnen der späten Nachkriegszeit, die Arbeitslager und Vernichtung für die als „arbeitsscheu“ Gebrandmarkten einfordern. LOWER AMBITIONS spürt historischen Kontinuitäten nach, die – gleichsam untot – von 1932 bis 2021 reichen.
Zwischen Meme und Fernsehen verortet, gleicht LOWER AMBITIONS einer Kakophonie offener Browser-Tabs. Nur – aus welchem Tab kommt der Ton? Wer klatscht hier eigentlich, und warum?
Letzte Worte fallen weg, Überblendungen stiften Verwirrung. Durch Schnitt und Montage macht Irem Schwarz’ aus altem Material eine neue Erzählung. Und legt so offen, was ohnehin die ganze Zeit schon da war.

Der gender&queer-Preis, gestiftet von der Gleichstellungsstelle der Stadt Bochum, dotiert mit 500 €, geht an

CRUISER von NILS RAMME & FELIX BARTKE, 2021, 22:00 Min.

Begründung:

In CRUISER von Nils Ramme und Felix Bartke geht es, so viel steht fest, um Bikes und ihre Fahrer. Vom exzentrischen Schrauber Herkules bis hin zu den mit Totenköpfen, Tattoos und Klub-Kutten ausgestatteten anderen Mitgliedern des Oberhausener Cruiser-Clubs. Harte Typen also – oder? Herausfordernd blicken sie in die Kamera, hingebungsvoll pflegen sie ihre – Fahrräder. Es ist die Freude an der Schönheit – ihrer Bikes, ihrer Freundschaft – die sie zusammenhält. Martialische Optik trifft auf Sorge füreinander: Herkules kocht Tee. Ein Vater schneidet seinem Sohn die Haare. Und zwei unterhalten sich über Technik: „Mit Hydraulik hast du Ruhe“. Eine Hymne aufs Gemeinsam-Sein, auf die Fahrradwege der Stadtränder, die Hinterseiten des Ruhrgebiets und der Männlichkeit.

Der WEITBLICK, der trailer Ruhr-Preis für den ungewöhnlichen Blick, dotiert mit 600 €, geht an

FEDERDING von TIANLIN XU, 2021, 19:53 Min.

Begründung:

Handgriffe der Sorge, Gebärden des Begreifens, Zeichen einer Annäherung. Ein Tag im Leben einer iranisch-afghanischen Familie in Deutschland: Die Kamera zeigt keine Gesichter; gleichwohl Menschen, die ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen. Vorsichtiges Zöpfeflechten, gewissenhaftes Vokabelnnotieren, ein bedächtiges Bewerbungsgespräch, gemeinsame Mahlzeiten. Alltägliche Rituale werden in Bewegungen sichtbar, neue Begegnungen als taktile Annäherungen erfahrbar. Statt mit großer Geste, erzählt die Regisseurin mit beeindruckender Ruhe und Genauigkeit von vertrauter Nähe und vorsichtiger Kontaktaufnahme. Die bescheidene Konzentration der Eindrücke lädt Zuschauer:innen zur erhöhten Aufmerksamkeit ein, lässt Handbewegungen als gelernte, weitergegebene, geübte und behelfsmäßige erscheinen. Nicht manieriert, sondern einfühlsam und prägnant erzählen die Bilder und die Schnitte von Menschen, deren Spielräume in Deutschland noch eingeschränkt sind. Und von einer Familie, die im Tasten, Hören, Schauen und Fühlen miteinander verbunden ist.

26. November 2022, Die Jury: Enis Maci, Alexander Scholz, Hannah Stragholz

Der FUNDSTÜCKE-PREIS, vergeben von der Auswahlkommission, gestiftet vom Rotary Club Bochum-Hellweg e.V., dotiert mit 500 €, geht an

SUMMER FLING von JASMIN PREIß, 2022, 24:51 Min.

Begründung:

Bereits zum zweiten Mal vergeben wir, die Auswahlkommission, in diesem Jahr den Fund-Stücke-Preis – ein Preis für Filme, die von jungen Macher*innen kommen, die besonders überrascht haben, die etwas Neues wagen und die wir deshalb unbedingt dem blicke-Publikum präsentieren wollten. Der Preis soll eine Ermutigung sein, weiterzumachen, kontrovers zu denken und mutig mit audiovisueller Sprache Filme zu zeichnen.
Wir prämieren in diesem Jahr eine Arbeit mit dem Fundstücke-Preis, die roh und wild, laut und extrem, pur und nah ist. In jeder Einstellung vibriert die Gefahr im Spiel der Kinder. Feuer, Wasser, Luft und Erde öffnen eine geheimnisvolle Welt, die ganz leicht an Themen wie Flucht und Rassismus kratzt. In silbernen Blättern rauscht der Wind. Im Abwasserkanal tanzen glitzernd die Wellen. Europa schwimmt davon. Währenddessen erblickt ein Feuerkäfer-Baby auf einer Handfläche das Licht der Welt. Ungezähmt und voller Energie spielt die Kamera gemeinsam das wilde Spiel der Kinder mit. Ohne Bewertung bringt sie die dichten Bilder und ihre Erzählung zum Flirren. Im ständigen Fluss, ohne zu wissen was als nächstes passiert, treiben wir auf der Magie des Moments, aus dem der Film gemacht ist.

Der PUBLIKUMSPREIS, gestiftet vom Bahnhof Langendreer, dotiert mit 350 €, geht an

LUDGER – EIN FRAGMENTARISCHES PORTRAIT EINES LIEDERMACHERS von Florian Pawliczek, 2022, 30:00 Min.