Abschied von Hartz IV: Eine filmische Aufarbeitung
Die Einführung des Bürgergeldes Anfang 2023 bedeutete das Ende von Hartz IV. Jahrelang beherrschte der Name Hartz den deutschen Diskurs über Sozialleistungen und wurde zum Synonym für ein System. Wortneuschöpfungen wie hartzen oder Hartz-IV-Betrüger fanden Einzug in den Sprachgebrauch, Fernsehsendungen wie „Hartz und herzlich“ in deutsche Wohnzimmer. Auch vor dem Hintergrund der nicht abreißenden Debatten um Sozialleistungen, wer sie bekommt und wer nicht, widmet sich blicke der künstlerischen Auseinandersetzung mit sozialen Realitäten und nimmt Abschied von einem Konstrukt, mit dem sich auch Filmkünstler*innen mal freiwillig, mal nicht beschäftigen mussten. Oft selbst von Prekarität betroffen, arbeiten sie sich an den medial vorherrschenden Rhetoriken und Bildern ab. [Tickets]
Die Filmemacher*innen sind für eine Diskussion anwesend, ebenso wie Filmwissenschaftler Christoph A. Büttner, der den folgenden Einführungstext verfasst hat.
Filme, die sich mit dem Phänomen Arbeitslosigkeit befassen, teilen mit der Arbeitslosigkeit als gesellschaftlichem Phänomen gewissermaßen eine prekäre Ausgangslage. So wie letztere sich gegenüber des Arbeit – und das heißt seit der Moderne: Lohnarbeit – habens negativ definiert, stehen auch den Filmen Pendants gegenüber, die nicht selten geprägt sind von visuell attraktiven Herstellungsprozessen oder heroischen Erzählungen über Arbeitsleistungen oder -kämpfe. Wie kann demgegenüber also Arbeitslosigkeit filmisch werden?
Die meisten Filme setzen bei den Individuen an, die ‚von Arbeitslosigkeit betroffen‘ sind. Dieser Ansatz folgt der Rolle, die den ‚Arbeitslosen‘ in der Arbeitsgesellschaft (Hannah Arendt) zugewiesen ist. Das Abhandenkommen eines vertraglich geregelten Austauschs von Arbeitskraft gegen finanzielle Entlohnung führt nämlich keineswegs ins Reich der Muße, sondern bedeutet in erster Linie erhebliche ökonomische Schwierigkeiten für die Einzelnen. Es bedeutet zudem eine unmittelbare Bedrohung des eigenen Selbstbilds – oder wie es Pierre Bourdieu deutlich drastischer ausdrückte, eine „symbolische Verstümmelung“.
In der Gegenwart des nach wie vor herrschenden neoliberalen Mainstreams bedeutet es vor allem, die Einzelnen in die Verantwortung zu nehmen. Dem sozialen Sicherungssystem kommt dabei die eigentliche Rolle einer Verunsicherung der Einzelnen zu, die mit der Drohung des Hinabdrückens in die Prekarität für diejenigen einhergeht, die nicht arbeiten. Begründet wird das mit einem vermeintlichen „Lohnabstandsgebot“, das auch in der Diskussion um die Einführung des Bürgergelds immer wieder aufgerufen wurde.
An dieser Schnittstelle zwischen (neoliberaler) politischer Anrufung und individueller Handlungsfähigkeit intervenieren die von uns gezeigten Filme. Lower Ambitions verweist dabei vor allem auf die ideologischen Kontinuitäten, die den Diskurs um Arbeitslosigkeit in Deutschland seit Jahrzehnten prägen. 40h, max. 2 Monate begibt sich in den Maschinenraum der gegenwärtigen Arbeitsmarktförderung und zeigt eine absurde bürokratische Normierung der vermeintlich doch so dynamisch-exzeptionellen Unternehmer*innenpersönlichkeit. Hartz 4 Betrüger wiederum prangert die Willkür des ALG-II-Systems an (und besticht mit einem eigenen subversiven Twist), während Wie ich ein freier Reisebegleiter wurde noch einmal auf einen entscheidenden Fakt hinweist: Arbeitslosigkeit bedeutet eben nicht Verlust und Abwesenheit von Arbeit, sondern im Gegenteil oft einen besonders hohen Arbeitsaufwand für die von ihr Betroffenen.
CHRISTOPH A. BÜTTNER ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Professur für Medienwissenschaft an der Universität Bayreuth. Er promovierte mit einer Arbeit zu filmischen Arbeitswelten und Repräsentationen des Sozialen und arbeitete zuletzt an einer programmatischen Schrift zu den Potenzialen medienkulturwissenschaftlicher Arbeitsforschung.
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